Gedankenschutz im digitalen Zeitalter: Mental Privacy als Lösung?

Was wäre, wenn Ihre Gedanken nicht mehr nur Ihnen gehören?

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in der U-Bahn und Ihr Kopfhörer kann nicht nur Ihre Lieblingsmusik abspielen, sondern auch Ihre geheimsten Wünsche und Ängste auslesen. Ein Klick – und Ihre innersten Gedanken sind für Unternehmen, Arbeitgeber oder sogar Fremde einsehbar. Mit den rasanten Fortschritten in der Neurotechnologie und im Bereich der Künstliche Intelligenz – insbesondere des maschinellen Lernens – rückt dieses Szenario heute in den Bereich des Möglichen. Diese Fähigkeit, mentale Zustände technisch zu erfassen, stellt auch den Datenschutz vor neue Herausforderungen. Gleichzeitig wird der Schutz der mentalen Privatsphäre („Mental Privacy“) damit zu einem Schlüsselaspekt für die Zukunft der Informationsgesellschaft und wirft insbesondere ethische Fragestellungen auf.

Aktuelle Entwicklung

Ein Beispiel für Technologien, die bereits eingesetzt werden und bei dieser Diskussion in den Fokus geraten, sind Brain-Computer-Interfaces (BCIs). Dies sind Technologien, welche eine direkte Verbindung zwischen dem menschlichen Gehirn und Computern herstellen. Sie erfassen neuronale Signale (meist über Elektroden auf der Kopfhaut oder durch implantierte Sensoren) und übersetzen diese in Steuersignale für Geräte oder Software. BCIs ermöglichen es auf diese Art, Computer, Prothesen oder Rollstühle allein durch Gedanken zu steuern.

Zwar konzentriert sich der aktuelle Einsatz von BCIs auf die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen, medizinische Rehabilitation, Kommunikationshilfen sowie erste Anwendungen im Unterhaltungsbereich, aber auch weitere Einsatzgebiete, etwa in der Arbeitswelt, Bildung oder für kognitive Leistungssteigerung, rücken bereits in den näheren Fokus.

Insbesondere sogenannte Consumer Neurotechnologies, also beispielweise Wearables, Headsets oder Brain-Computer-Interfaces, die ohne ärztliche Überwachung genutzt werden können und nicht als Medizinprodukte reguliert sind, könnten in Zukunft an Bedeutung gewinnen.

Mögliche Bedenken und Gefahren

Der Einsatz solcher Technologien kann erhebliche ethische Bedenken hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre, der Wahrung der menschlichen Autonomie sowie der Chancengleichheit aufwerfen, da die Erfassung und potenzielle Manipulation neuronaler Daten weitreichende Auswirkungen auf die Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe der betroffenen Personen entfalten kann.

Der Einsatz ist gleichzeitig datenschutzrechtlich besonders sensibel, da hierbei regelmäßig besonders schützenswerte personenbezogene Daten im Sinne des Art. 9 DSGVO – insbesondere Gesundheitsdaten und potenziell auch Rückschlüsse auf Gedanken und Persönlichkeitsmerkmale – verarbeitet werden. Die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung dieser Daten unterliegen strengen rechtlichen Anforderungen, u.a. hinsichtlich Zweckbindung, Datenminimierung und Transparenz.

Zudem besteht – etwa durch Fehlfunktionen, Störungen oder Cyberangriffe – ein erhebliches Risiko unbefugter Zugriffe, Datenverluste oder -manipulationen.

Neurorechte als Menschenrechte

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und dem wachsenden Einsatz etwaiger Technologien wird daher zunehmend gefordert, sogenannte „Neurorechte“ als spezifischen Schutz der neuronalen und mentalen Sphäre in den Katalog der Menschenrechte aufzunehmen.

Diese Rechte umfassen dabei ethische, rechtliche, soziale und natürliche Grundsätze der Freiheit des geistigen Bereichs einer Person, also grundlegende Normen zum Schutz des menschlichen Gehirns und Verstands.

Mental Privacy bezeichnet dabei spezifischer das Recht, Gedanken, Gefühle, Erinnerungen, Absichten und andere innere mentale Zustände vor unbefugtem Zugriff, Erhebung, Speicherung, Nutzung oder Offenlegung zu schützen, noch bevor diese nach außen kommuniziert oder ausgedrückt werden.

In diesem Diskurs werden insbesondere folgende Rechte differenziert gefordert:

  • das Recht auf kognitive Freiheit,

Schützt die freie Entscheidung über den eigenen Geist und den selbstbestimmten Umgang mit Neurotechnologien.

  • das Recht auf geistige Privatsphäre,

Gewährleistet den Schutz neuronaler und mentaler Daten vor unbefugter Erhebung, Nutzung und Weitergabe.

  • das Recht auf geistige Integrität

Verbietet unerlaubte Eingriffe oder Manipulationen in die mentalen Prozesse und Zustände einer Person.

  • und das Recht auf psychologische Kontinuität

Sichert die Wahrung der persönlichen Identität und verhindert ungewollte Veränderungen der Persönlichkeit durch Dritte.

Rechtlich gilt Chile als Vorreiter und Präzedenzfall, da es das erste Land ist, welches seine Verfassung zum Schutz der „geistigen Integrität“ und von Neurodaten änderte. Konkret heißt es, dass „das Gesetz die Anforderungen, Bedingungen und Einschränkungen für [Neurodaten] regelt und insbesondere die Gehirnaktivität sowie die daraus abgeleiteten Informationen schützt“. Darüber hinaus sollen wissenschaftliche und technologische Entwicklungen mit „Respekt vor […] körperlicher und geistiger Integrität“ durchgeführt werden.

Ausblick

Ob sich das chilenische Modell international durchsetzen wird, ist derzeit offen. Zwar wird darüber auch in anderen Ländern diskutiert, jedoch fehlen bislang verbindliche gesetzliche Regelungen. Entscheidend wird sein, inwieweit die Gesellschaft, die Gesetzgeber und internationale Organisationen die Bedeutung mentaler Privatsphäre angesichts des technologischen Fortschritts anerkennen, und entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen schaffen.

Eines steht jedoch bereits fest: Der Schutz unserer Gedanken und neuronalen Daten wird zu einer der zentralen Herausforderungen künftiger Grundrechtsdebatten werden. Umso wichtiger ist es, sich schon heute Gedanken darüber zu machen, wie wir unser Innerstes auch in Zukunft wirksam und verlässlich schützen können.

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